Interview mit Herrn Dier: ein Zeitzeuge spricht über die DDR

Eigentlich suchen wir im Neuburger Stadtarchiv nach alten Zeitdokumenten und Tagebüchern. Doch es kommt anders, als wir direkt auf einen Zeitzeugen treffen. Herr Dier ist ein um 1945 geborener Herr, der die Zeit des Kalten Krieges und der Teilung Deutschlands in Ost und West hautnah miterlebt hat.
Er lebt in Neuburg, aber er ist so freundlich, uns zu erzählen, was er noch weiß aus dieser Zeit, die für unsere junge Generation doch weit zurückliegt.

Freundlich und geduldig beantwortet er unsere Fragen, oft in alten Erinnerungen schwelgend, die durch unser Gespräch wieder wachgerufen werden...

Was ist Ihnen von der Nachkriegszeit in Erinnerung geblieben?

Es war alles zerstört, wir hatten kaum etwas zu essen. Aber das Besondere an dieser Zeit war, dass es immer aufwärts ging.
Alles wurde wiederaufgebaut, allgemein herrschte große Freude. Es konnte nur besser werden. Man konnte Leuten selbst mit Kleinigkeiten eine große Freude machen.
Wenn einmal ein ganz besonderer Tag war, haben wir ein Hähnchen gegessen.
Heute, in dieser „Wohlstandsgesellschaft“, haben sie Menschen so viel mehr und wissen das gar nicht zu schätzen. Sie sind immer unzufrieden, was es damals gar nicht gab.
Ich weiß oft gar nicht, was ich meinem Bruder zum Geburtstag schenken soll, weil er schon so viel hat.
Meine ältere Schwester hat ihr Geld damals in Lohntüten bekommen. Da hatten sie für jeden schon sein Gehalt in einzelne Tüten genau abgezählt und der hat das dann bekommen.

Wie haben Sie die Gefahr des Kalten Krieges empfunden?

Ich habe es nicht als Gefahr empfunden, ich habe mich nach dem Krieg sicher gefühlt. Und am Ende hat ja das Wettrüsten den Frieden gebracht.

Sie haben ja nicht in der DDR gelebt, aber wissen Sie trotzdem etwas darüber, wie die Menschen jenseits der Mauer gelebt haben?
Was wissen Sie über die DDR und über den Mauerfall?

Nach dem Mauerfall, den man natürlich groß in den Nachrichten gehört hat, bin ich mit einem Freund für 4 bis 5 Tage in die DDR gefahren.
Es hätten 4 Wochen sein können, weil ich so viel erlebt habe.

Besonders habe ich natürlich die unwahrscheinlich große Freude und Euphorie der Menschen bemerkt.
Aber man hat sehr bald große Unterschiede zum Westen gesehen. Die Autobahnen führten oft nicht durch die Dörfer, sondern an ihnen vorbei und man konnte sie kaum befahren, weil in der Straße große Schlaglöcher waren.

Im Osten hat man fast alles zu einem für uns „Westler“ Spottpreis bekommen. Wir waren in einem eigentlich teuren Restaurant – die Speisekarte hab ich immer noch – wo man mit lächerlichen Preisen im Pfennigbereich bezahlen musste. Da sagte mein Freund zu mir: „Jetzt könntest du dir den eigentlich teuren Heringssalat ruhig kaufen, und wenn du ihn nicht magst, zurückgeben, weil er ja so billig ist.“

Um die Leute zu bezahlen, wenn wir etwas gekauft haben, haben wir, bevor wir losgefahren sind, eine ganze Menge an Schokolade, Südfrüchten, Damenfeinstrumpfhosen und Kaffee mitgebracht. Das war im Osten so sündhaft teuer, dass es sich dort keiner leisten konnte, im Westen bekam man sowas für einen Spottpreis.
Aber in der DDR wurde uns klar: Wir hätten viel mehr davon mitnehmen sollen. Die Leute waren so unendlich dankbar dafür.

In einem Laden wollte ich ein Fernglas kaufen. Es kostete 120 DDR Mark – für mich extrem billig, eigentlich unter dem eigentlichen Wert, deshalb gab ich ihr 120 Westmark.
Dazu gab ich ihr noch Feinstrumpfhosen. Sie hat vor Freude geweint, so glücklich war sie. Zu dem Fernglas gehörte ein schöner Karton, den ich auch mitnehmen wollte,
aber es wäre zu auffällig gewesen, ihn gleich mitzunehmen. Deswegen hat sie mir versprochen, dass sie ihn mir nachschickt. Als ich zu Hause den Karton fand, war ein Kuchen drin. Damit habe ich nicht gerechnet, aber ich habe mich sehr darüber gefreut.

Anja Großhauser, Sabine Dorneburg und Elisabeth Hirmer, Q12